Freitag, 5. August 2016

Manga und Anime als Inspirationsquellen für Pokemon

In meinem letzten Post hatte ich mich mit mit den Pokemon und ihrer Wirkung als Marketing-Instrument befasst. Heute geht es darum zu schauen, aus welchen Quellen das Pokemon-Universum schöpft.

Denn natürlich entsteht eine Serie wie Pokemon und das mit ihr verbundene Spiel nicht im leeren Raum, sondern haben Vorläufer und Quellen, auf die sie sich stützen (die Verbindung zwischen Tamagotchi und Pokémon wurde bereits erwähnt). Eine dieser Traditionslinien ist die Form des japanischen Zeichentrickfilms (Animé) und Comics (Manga), die im Wesentlichen die Erscheinung der Figuren bestimmen. Typisch ist für viele Mangas und Anime der Stil der Figuren, der ein kindliches Aussehen mit unrealistisch großen, runden Augen verbindet. Hinzu kommt im Falle des Anime eine charakteristische Farbgebung, die meist flächig gehalten ist und Schatten nur andeutet, indem die Schattenpartien etwas abgedunkelt werden 1.

Ebenfalls für Anime charakteristisch ist, dass oft nur Teile der Figur animiert werden, während der Rest unbeweglich bleibt. Dies gilt besonders für Gesichtsanimationen. Vergleicht man zum Beispiel einen Donald Duck-Cartoon und Pokémon, so fällt sofort der Unterschied auf. Donalds Körper ist ständig von Bewegung erfüllt, die Pokémon wirken teilweise wie erstarrt - besonders in den Kampfszenen, in denen sich nicht die Figur, sondern nur der Hintergrund bewegt 2.
Begründet hat diesen spezifischen Stil des modernen Manga ein Autor namens Osamu Tezuka, dem es gelang, westliche (durch importierte Disney-Produkte geprägte) Einflüsse und japanische Erzähl- und Zeichentechnik miteinander zu verschmelzen 3. Tezuka wurde 1928 in Osaka geboren. Seine Eltern waren stark an Kunst interessiert, so dass er schon früh und oft Kontakt zu dieser hatte. Dennoch startete er seine Karriere erst nach dem zweiten Weltkrieg im Jahr 1950, wo er Kimba, der weıße Löwe, als Manga zeichnete. 1963 folgte seine erste Animeserie Tetsuwan atomu 4.

Nahezu alle Quellen sind sich einig, dass Tezuka den typischen Anime/Manga-Stil begründet hat. Als Beispiel sei hier nur Jesse Stanley zitiert:
Osamu Tezuka’s techniques have had a profound impact on all manga and anime that followed him. For instance, the large, sparkling, anatomically incorrect eyes that seem to be prevalent in manga and anime these days can all be attributed to Tezuka’s influence, as this was the style that he drew in. He was also one of the first writers to try and tackle serious mature themes in his work, paving the way for such deeply philosophical and introspective films as Ghost in the Shell and Mononoke Hime. His influence on the Japanese animation market could be roughly paralleled to Disney’s. The Seibu Lions baseball team uses one of his most famous characters, Leo the Lion as their mascot, and Atomo (known as Astro Boy in the US) sells a number of products on TV today. He is still widely popular in Japan today, with a large fan base, both young and old 5.

Lange Tradition

Mangas bzw. deren Vorläufer haben in Japan eine lange Tradition, die sehr weit in die japanische Geschichte zurückreicht. Schon vor Hunderten von Jahren wurden Bilder mit erzählendem Inhalt angefertigt, aus deren Tradition der Formenschatz des Mangas schöpft.

Da wäre zunächst der Toba-e Stil zu nennen, welcher auf 1053 n. Chr. datiert 6. Unmittelbarer Vorgänger der Mangas ist der Ukiyo-e-Stil,I der den meisten Europäern als japanischer Holzschnitt in der einen oder anderen Form bekannt sein dürfte (z. B. die Holzschnitte Katsushika Hokusais, der übrigens seine Skizzenbücher ab 1812 Manga (Man = spontan, ga = Bild) nannte. In diesen tauchten schon einzelne Bildfolgen auf.) 7. Aus ihnen entwickelte sich die spezifische Form des Mangas.
The tradition of Japanese prints changed with westernization. Manga developed from these prints in a sort of hybrid between Western comics and Japanese prints whose flavor was distinctly Japanese. But why is manga so popular? American comic books have been reduced to children’s fare, not allowed to grow as literature or art very much. The stories are often unsophisticated and childish. But manga is not relegated to the side just because they are comic books 8.
Der Japanische Comic ist also kein reiner “West-Import”, sondern hat ganz eigene, typische Stilmerkmale, wobei große, runde Augen, bizarre Frisuren, die allen physikalischen Gesetzen trotzen und intensive Lichteffekte ebenso zu den charakteristischen Merkmalen gehören wie bestimmte Bewegungsabläufe und Gesten im Stile von »THE MATRIX« 9.

Es gibt zudem einige wichtige Unterschiede, die Mangas aus der Masse der Comics herausheben. Manga werden von hinten nach vorn gelesen. Sie sind (aufgrund der hohen Seitenzahlen) fast ausschließlich in schwarzweiß gedruckt. Bevor ein Manga in Buchstärke aufgelegt wird, wird zunächst eine Vorabserie in Heftform gedruckt. Diesen Heften sind Antwortkarten an den Verlag beigelegt, die dazu dienen, die Leserresonanz abzufragen und das Produkt den Wünschen des Publikums anpassen zu können. Erst dann wird das eigentliche Manga veröffentlicht.

Eine eigene visuelle Grammatik

Der wichtigste Unterschied zum amerikanischen oder europäischen Comic ist jedoch, dass das Manga einer anderen visuellen Grammatik folgt. So werden die Handlungsabläufe in Mangas sehr viel stärker durch einzelne Bilder strukturiert, als dies bei ihren amerikanisch-europäischen Gegenstücken der Fall ist. Wird zum Beispiel in einem amerikanischen Comic eine Handlung in einem einzigen Bild (z. B. dem Gang durch eine Bahnhofshalle) dargestellt, bricht der Manga diese Situation in eine Reihe visueller Splitter auf. Zunächst könnte man vielleicht ein Bild des Zuges sehen, dann eine Menschenmenge, im nächsten Bild ein Gesicht, im darauf Folgenden ein zweites, schließlich zwei Menschen, die über einen Bahnsteig laufen. Auch die Sprache wird wesentlich sparsamer venNendet. Reihen sich im amerikanisch-europäischen Comic Sprechblase auf Sprechblase aneinander, so wird im Manga vieles durch Körpersprache, Gestik und Mimik der Figuren ausgedrückt. Gerne werden auch Stilllebenartige Bilder genommen, um Stimmungen einzufangen 10.

Zu beachten ist, dass Mangas nicht notwendigerweise Kinderliteratur sein müssen, sondern alle Alterssparten und Niveaustufen abdecken. Interessant als beiläufige Anmerkung mag sein, dass Mangas kein Tabu kennen 11, das die Darstellung von Tod oder Sexualität verbietet, wie es in europäischen und amerikanischen Comics häufig zu finden ist. Mangafiguren müssen auch nicht dem »Superheldenklischee« entsprechen. Manga-Charaktere sind in der Regel vergleichsweise normale Personen, die ein Privatleben besitzen, zur Schule gehen usw., die aber bestimmte Züge haben, die sie zu etwas besonderem machen. In der Regel haben sowohl “Gute” als auch “Böse” differenzierte Ziele, die ihr Handeln erklären und plausibel machen 12.

Pokémon, das Hong Kong-Kino und Godzilla

Auch das Genre des Hong Kong-Kinos mit ihren Martial Arts-Filmen hat einen gewissen Einfluss auf die Darstellung der Pokémon, speziell, was die Posen und Attacken der Tiere angeht. Allerdings ist dieser Einfluss nicht über zu bewerten, da es sich wohl eher um ein generelles Phänomen der japanischen Populär-Kultur handelt.

Auch die Godzilla-Filme haben Einfluss auf die Pokémon gehabt. Hierzu gehört zunächst die Idee, dass es fabelhafte Monster __ gibt, die gegeneinander antreten, um sich gegenseitig zu bekämpfen. Ferner sind die Urweltmonster in der Lage, außergewöhnliche (PSI-)Kräfte zu venNenden (So kann Godzilla atomare Strahlen speien.). Zu guter Letzt lässt sich auch das generelle Design der Pokémon auf die Godzilla-Filme zurückführen. So erscheint zum Beispiel ein Kampf zwischen Sichlor und Glurak wie eine verniedlichte Version des Kampfes zwischen Godzilla und lg“ Destroyah (ein Insektenwesen), allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass bei letzteren eine ganze Stadt winziger Modelle in Schutt und Asche gelegt wird.

  1. Als Prototypen für ein Anime mögen die Serien »Heidi« und »Captain Future« dienen.
  2. Man muss allerdings zugestehen, dass dies nicht nur auf eine animespezifische Ausdrucksform zurückzuführen ist, sondern sich auch auf die Kampfszenen des Computerspiels bezieht, in denen die Figuren in ganz ähnlicher Weise gegenübergestellt werden.
  3. Es gab zwar auch schon zuvor als Manga bezeichnete Comics (der erste jap. Comic datiert auf 1902), die sich an westlichen Vorbildern orientierten, der besondere, charakteristische Stil des heutigen Mangas leitet sich aber eindeutig von Tezuka ab. vgl. Knigge, Andreas C. :, »Comics - vom Massenblatt ins multimediale Abenteuer«, Reinbeck bei Hamburg 1996, S. 242.
  4. vgl. Knigge, Andreas C. :, »Comics - vom Massenblatt ins multimediale Abenteuer«, Reinbeck bei Hamburg 1996, S. 243 u. 244.
  5. Stanley, Jesse:, »Anime lOl«; http://www. earlham. edu/ ~iapanink/japanink_anime101.html
  6. Ukiyo-e was all the rage in Europe, very much influencing the emerging Impressionist Movement during the 1800’s. Van Gogh, Monet and others were experimenting with the vibrant colors and painting style ol Japanese prints. In Japan, they had been very popular amongst the merchant and common townspeople during the Edo Era’s peace and prosperity. Printing was cheap and the products sold well, much like manga is today. There was just something about the prints that made them accessible to the masses. The most popular of the prints were ukiyo-e. They depicted illustrations of the “Floating World,” a term that was used to describe the air that of uncertainities in life and the subsequent search for sensual pleasures to sweeten one’s feeling of hopelessness. Like so much of old Japanese art, ukiyo-e projected a sparse reality: without dwelling on anatomy and perspective, they tried to capture a mood, an essence, and an impression. Vgl. Santiago, Ardith:, “Manga, Beyond Ukiyo-e: Aesthetics, Postmodernism and Japan”; http://www.hanabatake.com/research/beyond.html
  7. Toba-e is named in honor of a Buddhist monk known as Toba (A. D. 1053-1140). These works were often humorous. One of the most famous examples is the hilarious Chôjôgiga, or “Animal Scrolls,” a 121h-century satire on the clergy and nobility. They were printed again and again to entertain townspeople.
  8. Santiago, Ardith:, “Manga Beyond Ukiyo-e: Aesthetics, Postmoderism and Japan"; http://hanabatake.com/research/beyond.html
  9. THE MATRIX transportiert die Optik des Animes in den Realfilm.
  10. vgl. McCloud, Scott, „Comics richtig lesen“, Hamburg 1994, S. 111.
  11. lzawa, Eri:, “the new stereotypes of anime and manga”; www.ex.org, ex vol. 2 issue 8.
  12. vgl. lzawa, Eri:, »What are Manga and Anime?«, www.mit.edu:8001/people/rei/Exgl.html