Samstag, 4. Februar 2017

Kann Fantasy auch politisch sein?

Fantasy bzw. phantastische Literatur wird in der Regel nicht als politisch wahrgenommen. Aber ist das wirklich so? Ist Fantasy nicht reiner Eskapismus, der sich mit Welten weit jenseits der Realität befasst? Ein genauer Blick zeigt, dass Fantasy sehr wohl auch politische Themen aufgreifen kann, auch wenn das nicht immer so offensichtlich geschieht.

Das Klischee vom Fantasykonsumenten sieht jedenfalls anders aus. Fantasy ist angeblich etwas für versponnene Personen, die miit der Realität nicht zurechtkommen und sich deshalb in eine eingebildete Welt mit klaren Strukturen von schwarz und weiß bzw. gut und böse flüchten. Tatsache ist, dass viele Fantasy-Romane (insbesondere solche, die mehr oder weniger dreist bei Tolkien abkupfern) dieses Klischees bedienen, um schnelle Leseware auf den Markt zu werfen.

Zu behaupten, dass Fantasy aber nichts weiter wäre als billige Unterhaltungsware, ist völlig falsch. Gute Fantasy mag zwar keinen offensichtlichen Bezug zu unserer Realität haben, weil sie nicht realistisch in dem Sinne ist, dass sie die Ereignisse in unsere Welt abbildet (sie ist nicht mimetisch), sie vermag dennoch etwas über unsere Welt auszusagen. Dass ihr diese Fähigkeit in schöner Regelmäßigkeit abgesprochen wird, liegt wohl auch daran, dass ein unter Kritikern und Literaturwissenschaftlern weit verbreitetes, wenn auch nicht immer ausgesprochenes) Vorurteil lautet, gute Literatur habe im wesentlichen mimetisch zu sein 1, von einigen künstlerischen Eskapaden bedeutender Autoren einmal abgesehen. Ich stelle hier die These auf, dass Fantasy keinen abbildenden Charakter hat, sondern im Wesentlichen ein simulationistisches Genre darstellt. Es zeigt uns nicht so sehr in künstlerisch verbrämter Form, was ist, sondern dass, was sein könnte, wenn man bestimmte Prämissen anders setzen würde. Das gilt ganz allgemein für die phantastische Literatur, nicht nur für die klassische Fantasy-Story, wie ich sie verstehe 2. Nicht umsonst sind auch die Utopie und die Dystopie Teil der phantastischen Literatur, ebenso wie man im weiteren Sinne die Science Fiction dazuzählen kann.

Tolkien zum Beispiel erzählt uns in seinen Kunstmythen um seine Welt Mittelerde nicht nur Geschichten über den Kampf des Guten gegen das Böse – das ist nur der offensichtliche Teil – sondern gibt uns auch eine Lektion in ökologischem Denken. Das beginnt schon im Simarillion, wenn die Valar in die Musik Illuvatars mit einstimmen und Melkor versucht, seine eigene Melodie in den Gesang miteinzubringen. Jenseits der offensichtlichen Bedeutung der Auflehnung gegen einen Schöpfergott findet man hier unterliegend noch ein weiteres und meines Erachtens tiefergehendes Motiv. Melkor versucht in den Lauf der Natur einzugreifen und diese nach seinem Willen zu formen. Dies wiederum führt aber dazu, dass ebendiese Natur geschädigt wird.

Dieses Grundmotiv setzt sich auch in vielen anderen Erzählungen Tolkiens fort und zieht als ein Grundstrang durch sein gesamtes Werk. Nicht umsonst nutzen die “Bösen” Technik, um sich ihre Gegner und letzendlich die Welt selbst zu unterwerfen, was zu weitreichenden Zerstörungen und Krieg führt. Im Gegensatz dazu herrscht weitgehend Frieden bei denen, die mit der Natur in Einklang leben, so zum Beispiel in Galadriels Reich, in Fangorn, bei Tom Bombadil usw. Das heißt aber nicht, dass diese Orte des Friedens vor der Zerstörung geschützt wären. Die soziale Sphäre wird durch die Technik ebenso bedroht wie Natur selbst, von der die erstere abhängt.

Ein anderes Beispiel aus der Fantasy im weiteren Sinne sind die Harry Potter Bücher, in denen es nicht nur um die Abenteuer des heranwachsenden Zauberers und seiner Freunde geht, sondern auch um Themen mit eindeutig politischem Charakter: Da ist zum einen der offenkundige Rassismus der Todesser und ihrer faschistoiden Hierarchie, dann das Thema des zivilen Ungehorsams, aber auch die Kritik am Spießertum, wie es durch die Dursleys verkörpert wird.

Man kann sich auch “Traumfinder” von Roger Taylor ansehen, in dem es letztendlich um die Auswirkungen von Propaganda und Manipulation geht, oder “die fernen Königreiche”, die zeigen, wie sehr Gier und Macht Menschen verbiegen können oder auch die Erdsee-Bände von Ursula K. Le Guin in denen neben grundsätzlichen philosoph-existenziellen Fragen auch ein ganzes Bündel an politischen Themen abgehandelt wird.

Doch wozu das alles? Wie schon gesagt gehe ich davon aus, dass Literatur, sei sie nun realistisch-mimetisch oder simulationistisch-fantastisch, uns immer zeigt, was sein könnte. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Geschichten liegt im Wesentlichn darin, dass sich die Parameter der angenommenen Welt ändern, so dass sich ein Spektrum vom Realistischen hin zum Phantastischen ergibt. Auf diese Weise wird es uns als Menschen, Autoren, Lesern möglich auszuloten, was sein könnte, so dass wir durch die Literatur die Chance bekommen, uns Alternativen zum allgemein akzeptierten Lauf der Dinge vorzustellen. Sie sagt uns “So wie es ist muss es nicht unbedingt sein! Es könnte auch anders anders sein.”. Nicht umsonst fordern die Protagonisten vieler (fast aller) Erzählungen den akzeptierten Stand der Dinge heraus. Und vermutlich ist das auch der Grund, warum autoritäre Machthaber immer auch die Künstler angreifen, die sich nicht sofort dem System anbiedern, weil sie wissen, wieviel Macht eine Erzählung entwickeln kann.

Anmerkungen

  1. “Mimetisch” bezieht sich in diesem Falle nur auf die Inhaltsebene insofern, als das diese vorgibt die Welt “wie sie ist” abzubilden. Das bezieht sich nicht auf die äußere Form der Narration, die das gesammte Spektrum von naturalistisch dem Lauf der Ereignisse folgend sein kann (z.B. im “Bahnwärter Thiel”) oder aber fragmentiert wie in “Mutmassungen über Jakob” oder “Manhattan Transfer” – beide geben vor, in unserer Welt zu Spielen.
  2. Für mich ist die eigentliche Fantasy definiert durch die Subgenres der High Fantasy und der Sword and Sorcery, die den Ursprung dessen bilden, was heute als Fantasy bezeichnet wird. Alle anderen Erzählungen würde ich zum weiten Feld der “Literatur des Phantastischen” zählen, die alle mehr oder weniger phantastische Elemente, aber nicht eine von uns unabhängig existierende Welt mit eigenen Gesetzlichkeiten beinhaltet, die zwar durch Protale wie den Schrank in C.S. Lewis Narnia-Romanen erreicht werden kann, aber trotzdem nach eigenen Regeln funktioniert.