Die Sonne flimmert, der Wind treibt vertrocknete Wüstenpflanzen vor sich her, zwei Kontrahenten stehen sich auf dem Marktplatz gegenüber. Die Atmosphäre ist so gespannt, dass selbst die Backsteine der Häuser den Atem anzuhalten scheinen. Einer von beiden wird heute Federn lassen - und das im buchstäblichen Sinne. Denn die Helden dieses Westerns sind: Hühner!
(c) Martin Gehring (TOC) |
Martin Gehring dürfte den meisten durch seine Hühnercartoons sowie kurzen Gedichte und Limmericks bekannt sein, die er unter dem Bloggernamen Toc auf seinem Blog Loseblattsammlung veröffentlicht. Nun hat er das Thema "Huhn" auf eine neue Ebene gehoben und den Roman "El Pollo - Entscheidung in der Sierra Chica" als Ebook herausgebracht. Das Buch ist technisch gesehen ein klassischer Western, und funktioniert auch als solcher wirklich gut - er ist flüssig geschrieben, sprachlich deutlich über dem Niveau der meisten Independent-Romane und von der Erzählstruktur stringent. Weniger technisch ausgedrückt: Es macht Spaß dieses Buch zu lesen! Seinen unverkennbaren Toc-Stil bekommt es aber durch die Tatsache, dass die Erzählwelt "El Pollos" konsequent auf die Tatsache ausgelegt ist, dass ihre Bewohner Hühner sind. Da "beeit" sich der Pfarrer, statt sich zu bekreuzigen und es werden blaue Bohnen und Maiskörner aus "Bohnenrevolvern" und "Maisgatlings" verschossen. Das alles in Kombination macht "die Entscheidung in der Sierra Chica" zu einem Lesevergnügen mit einer Prise schrägen Humors, das man nicht verpassen sollte.
Beachtlich finde ich Martins Buch auch deshalb, weil er im Alleingang ein professionell gemachten Text vorgelegt hat, der sich qualitativ ohne Weiteres mit Verlagspublikationen messen kann. Hätte ich ein solches Manuskript auf meinen Schreibtisch bekommen, hätte ich mich gefreut, denn ich hätte außer ein paar doppelten Leerzeichen und wenigen Tippern nicht mehr zu tun gehabt, als den Klappentext und die Autoreninfo zu schreiben und das Buch wäre gegessen gewesen. Ein solcher Grad an Können bei jemanden, der das nebenher und nicht hauptberuflich macht, ist sehr bemerkenswert, weshalb ich meinen Hut ziehe.
Besonders gut gefallen hat mir die Szene, in der Sancho den alten Gärtner trifft, der ihn in das Geheimnis von El Pollo einweiht (das hier natürlich nicht verraten wird). Oder aber die Szene im Saloon, wo Sancho Esmeralda das Leben rettet. Und natürlich der Showdown, der in klassischer Westernmanier den Bösewicht und den Helden auf dem Campo Chorazzos zur letzten Entscheidung zusammenbringt und dennoch eine Überraschung bereithält.
Zu guter Letzt möchte ich "El Pollo" noch einmal selbst zu Wort kommen lassen:
"...Was sie sahen, waren vier abgerissene graubraune Galgenvögel von Hühnern, die allesamt staubbedeckt und schlecht rasiert daherkamen. Alle vier trugen schäbige Cowboyhüte, speckige Lederwesten, vielfach geflickte und trotzdem löchrige Hosen und Stiefel mit glänzenden Sporen ... Sie ritten betont langsam und lässig auf ihren Klapperhasen, die im Gegensatz zu ihren Reitern gepflegt waren und aussahen, als hätten sie erst kürzlich auf unfreiwillige Weise ihren Besitzer gewechselt."
3 Kommentare:
Dankeschön für die tolle Besprechung. Der Ort heißt übrigens Carrizo. :)
Als begeisterter Leser des hier rezensierten Werkes kann ich nur voll und ganz zustimmen. Das Buch ist gut und flüssig zu lesen, die Welt der Hühner wird konsequent durchgehalten, was viele lustige Einfälle mit sich bringt. Allein die spanische Bezeichnung der Dorfkirche (Nuestro Huevo Sagrado) hat bei mir für minutenlanges Gekicher gesorgt. Du heiliges Ei!
Ich hätte den Post nicht schreiben sollen, als ich Hunger hatte. Carrizo erinnert mich immer an Chorizzo. Da bin ich gedanklich von dem Örtchen mit dem spanischen Namen zur spanischen Spezialität abgewandert ;-)
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