Freitag, 20. März 2015

Perfektionismus bringt dich weiter, bis er zum Hindernis wird


Jetzt werden sich einige fragen, »Was soll diese einigermaßen absurde Überschrift?« Stimmts? Perfektionismus wird im Allgemeinen eher als hinderlich angesehen, wenn es darum geht, Projekte zu einem Ende zu bringen. Aber es geht auch anders. Wenn man es schafft, seinen Perfektionismus im Zaum zu halten, kann er Ansporn zu besonders guten Leistungen sein.

Kaum jemand, der den Anspruch an sich hat, seine Sache gut zu machen, kann sich von dem unguten Gefühl befreien, niemals gut genug zu sein. Das, was sich verwirklichen lässt, tritt fast immer hinter die Vision zurück, die immer wieder auf’s Neue größer, strahlender und besser ist als Alles, was man mit seinen ungelenken, kruden Händen in die Welt setzen kann. Das ist erschreckend, aber auch ein Ansporn, besser zu werden, dem Ideal, das man sich gesetzt hat, näher zu kommen.

Wichtig ist dabei in meinen Augen, dass man sich nicht von dem Ideal blenden lässt. Das Ideal ist der Endpunkt, dem man entgegenstreben kann, ohne ihn selbst jemals wirklich erreichen zu können. Um diesen Punkt zu erreichen müsste man unendlich viel Zeit haben. – Das haben wir aber nicht. Wir sind endliche Wesen, die nur endliche Mittel haben, unsere Ideen in die Tat umzusetzen. Wer also absolute Perfektion erreichen will, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil er etwas anstrebt, dass er nie erreichen kann. Viel schlimmer noch: Weil nichts von dem, was dieser Mensch tut, seinem Ideal das Wasser reichen kann, ist er schnell frustriert und gibt auf, schiebt seine Ideen vor sich her oder sucht auf einem weißen Blatt nach Inspiration. Es ist ein wenig so, wie der chinesische Philosoph Lao Tze gesagt hat:

Etwas festhalten wollen und dabei es überfüllen: das lohnt der Mühe nicht. Etwas handhaben wollen und dabei es immer scharf halten: das läßt sich nicht lange bewahren. 1

Es geht eigentlich nicht darum, perfekt zu sein, sondern so perfekt zu sein, wie es die Situation hergibt. Dazu möchte ich mein immer wieder und gern bemühtes Beispiel des Marathonlaufs bemühen:

Nehmen wir an, ich möchte einen Marathon laufen und beginne zu trainieren. Ich bin alles andere als fit (der Bürojob macht sich negativ bemerkbar) und nach zwei Kilometern geht mir die Puste aus. D. H. mein angestrebtes Ziel kann ich nicht erreichen, so sehr ich mich auch anstrenge – das ist der negative Perfektionismus, der so viele ausbremst. Ich kann aber auch sagen, »Ok. diese zwei Kilometer sind alles, was ich im Moment kann, aber für diese zwei Kilometer gebe ich alles, was mir möglich ist.« Ganz gleich wie sehr ich mir wünsche, die 42 Kilometer zu laufen, dass ich nur die zwei schaffe, ist so. Und wer sagt, dass ich direkt am Anfang ein Weltklasse-Läufer sein muss?

Ganz ähnlich ist das beim Schreiben: Wichtig ist nicht, dass ich alles sofort in eine perfekte Form gieße, sondern dass ich überhaupt erst einmal schreibe. Ob das dann am Ende des ersten Tages für einen Roman reicht, ist doch scheißegal – ich habe geschrieben! Mit der Zeit werde ich immer besser werden und am Ende ist das Ziel erreicht: Das Gedicht, der Blogpost, die Magisterarbeit, der Roman.

Niemand hat behauptet, dass eine Reise von tausend Schritten einfach wäre, aber es gibt auch niemanden, der gesagt hat, dass ich jeden Schritt, den ich auf diesen tausend Meilen machen muss, gleichzeitig zu machen habe.

  1. Zit. nach Reich, Wilhelm: »Tao te King, Diogenes gelbe Reihe«.

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