Freitag, 11. Dezember 2015

Was ist das »Schlechte« an einem schlechten Text?


Wenn man sich eine Weile mit den Erzeugnissen anderer Autoren beschäftigt, und damit ein weites Spektrum an Texten ganz unterschiedlicher Art und Herkunft kennenlernt, bekommt man mit der Zeit ein Gefühl dafür, wann ein Text »schlecht« ist. Was aber dieses »Schlechte« tatsächlich ist, ist weit schwieriger zu definieren. Dieser Post soll der Versuch einer solchen Definition sein.

Auf den ersten Blick scheint die Definition eines schlechten Textes einfach zu sein: Zum Beispiel, wenn der Text keine durchgängige Handlung hat, zwischen den Handlungsorten hin- und herspringt, vom Hölzchen auf‘s Stöckchen kommt, eine seltsame Orthographie und Grammatik hat usw. Auf den zweiten Blick stellt sich die Sache aber nicht so klar dar.

Das »Schlechte« entzieht sich einer einfachen Definition

Nach meiner gerade eben gegebenen Rohdefinition wären dann solche Texte wie Mutmassungen über Jakob, von Uwe Johnson, Nix und Moppel Schappiks Tätowierungen von Peter Wawerzinek oder Manhattan Transfer von Jon Dos Pasos schlecht, weil sie keine durchgängige Handlung (und keine klassische Dramaturgie) haben, teilweise extrem zwischen einzelnen Handlungsfragmenten hin- und herspringen, oder auf der thematischen Ebene ein Fragment neben dem anderen stehen zu lassen, ohne dass sich ein Zusammenhang unmittelbar erschließen will.

Tatsächlich sind diese Texte alles andere als »schlecht«. Vielmehr sind die einzelnen Fragmente in jeder dieser Erzählungen höchst kunstvoll geschrieben und das Fragmentierte, Zusammenhanglose ist Gestaltungsprinzip. So beschreiben die Mutmassungen über Jakob den Tod des besagten Jakobs, die aber nicht konventionell erzählt wird, sondern sich nur aus dem erschließt, was nach dem Tod Jakobs übrig bleibt: Den Erinnerungen der Betroffenen, Dokumenten, den Orten, an denen er gewesen ist. So wird das Fragmentierte der Erzählung zur literarischen Umschreibung des Umgangs mit der Erinnerung an einen Verstorbenen.

Die Fragmentierung des Textes kann also als sicheres Kriterium für einen »schlechten« Text nicht herhalten. Nur weil etwas nicht einer linearen Handlung folgt, bedeutet das nicht, dass es schlecht wäre.

Auch auf der sprachlichen Ebene lässt sich das »Schlechte« an einem Text nicht so ohne weiteres festmachen. Eine grobe, rohe Sprache kann dem Thema des Textes gerecht werden — zum Beispiel in einem Hard Boiled-Krimi — ebenso wie eine hochverdichtete oder ideosynkratische Sprache, die sich der Leser erst erarbeiten muss, um den Text wirklich genießen zu können.

Die Antwort liegt nicht so sehr im Was sondern vielmehr im Wie

Vielleicht ist es einfach falsch, danach zu fragen, was das »Schlechte« in einem schlechten Text ist. Vielleicht sollte man eher fragen, auf welche Weise der Text schlecht ist. Möglicherweise liegt das schlechte eben nicht in der Substanz des Textes, sondern in der Art und Weise, wie die einzelnen Elemente desselben miteinander zusammenhängen (In etwas so, wie eine wackelige Konstruktion aus einer Holzplatte und vier Beinen immer noch ein Tisch ist, wenn auch ein schlecht zusammengezimmerter).

In gewisser Weise gibt es für alle schlechten Texte eine gewisse Familienähnlichkeit, die es dem Betrachter ermöglicht, sie als schlechten Text zu identifizieren, ohne dass dieser wirklich an Einzelheiten festmachen könnte, worin dieses »Schlechte« eigentlich liegt. Dennoch kann man sich ihm annähern.

Ein Kriterium für die Qualität eines Kunstwerkes im Allgemeinen liegt letztendlich im »Timing«, mit der die Mittel der jeweiligen Kunstform eingesetzt werden, ganz gleich, ob es sich dabei um Literatur, Film, Theater, Malerei, Tanzen, Ikebana oder Kochen handelt. Immer geht es darum, die richtigen Elemente in der richtigen Menge und zur richtigen Zeit einzusetzen. Ob es sich dabei um Farben, Gewürze, Blumen, Tonfolgen, Tanzschritte, Textzeilen oder Sätze handelt, ist dabei für das Prinzip unerheblich. Wichtig ist, dass der Künstler weiß, was er wann in welcher Menge einsetzen muss, um das gewünschte künstlerische Ergebnis zu erzielen.

Um das wirklich gut machen zu können, bedarf es einer gut ausgeprägten Intuition und eines Gespürs dafür, wie weit man die »Regeln« variieren kann, ohne sie zu brechen. Besitzt man beides nicht, läuft man Gefahr, auf zwei Ebenen zu versagen: Hält man sich zu sehr an die »Regeln« oder »Standards«, wirkt das Werk farblos, wie nach »Rezept« produziert. Das Werk erscheint als »blass«, »beliebig«, langweilig, zusammenhanglos in einem weiten Sinne (nicht nur strukturell, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene). Auf der anderen Seite kann man über das Ziel hinausschießen und dem Werk zu viel mitgeben, so dass es überbordend, schwültztig und letztendlich kitschig wirkt.

Um zu verdeutlichen, was ich damit sagen will, möchte ich noch einmal auf das Beispiel des Tisches zurückkommen. Dabei ist völlig unerheblich um welche Art (beim Roman: welches Genre) von Tisch es sich handelt. Ein Bauerntisch aus grob gezimmerten Planken kann seine eigene Ästhetik haben (die dem Betrachter nicht gefallen muss), er ist aber nicht schlecht, was seine Gestaltung angeht, solange seine Elemente sich zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen. Ist dieser Bauerntisch aber schlecht gefertigt, sind zum Beispiel seine Bretter lose oder die Tischbeine unegal geschnitten, so ist er ein schlechter Tisch, da er weder den ästhetischen noch den praktischen Ansprüchen genügt. Ebenso kann man ihn als schlecht bezeichnen, wenn man minderwertige Materialien für seinen Bau verwendet hat (zum Beispiel morsches oder schlecht verleimtes Holz, Nägel aus billigem Eisen oder minderwertigen Leim).

Fazit

Ob ein Text »schlecht« ist, lässt sich nicht an einzelnen Elementen des Textes festmachen. Vielmehr ergibt sich das »Schlechte« an einem Mangel an Konsistenz in der Gesamtheit desselben. Neben der offensichtlichsten und am leichtesten zu korrigierenden Ebene, die sich aus mangelnder Orthographie, dürftigen Satzbau und einer unrunden Grammatik ergibt, gibt es noch subtilere Ebenen, auf denen ein Text versagen kann. Beispiele dafür findet man in Fällen, in denen der Text fragmetiert ist, die einzelnen Teile nicht zusammenfinden wollen, ohne dass das beabsichtigt ist, oder aber der grundsätzliche Ablauf der Geschichte nicht mit den Handlungen der Figuren zusammenkommen will. Natürlich gibt es noch viele andere Aspekte, die einen Text »schlecht« machen können (zum Beispiel die mechanische Wiederholung der immer gleichen Szenen, Sätze, oder Konstrukte, die den Text eintönig macht), aber ich hoffe, ich habe euch einen Eindruck davon geben können, in welche Richtung sich die Argumentation weiter bewegen kann.

1 Kommentar:

Claudia hat gesagt…

Ich bin erleichtert. Warum? Weil ich bei dem Titel einen kleinen Moment lang befürchtet habe, nun kämen einige "Standardkriterien", was zum Glück nicht der Fall ist. Ich bin da ganz bei dir. Ein schlechter Text ist einer, dem man anmerkt, dass der Autor die Stilmittel, die er einsetzt, nicht beherrscht. Zwischen einem bewusst gestalteten Montageroman und einem Roman, bei dem schlichtweg Teile fehlen, weil dem Verfasser nicht aufgefallen ist, dass er ein Handlungsloch hat, liegen schließlich Welten.