Mittwoch, 7. November 2012

Keine Angst vor‘m weißen Blatt

Die Angst vor´m weißen Blatt - (c) G. Sandhoff


„Als er das Moleskine öffnete, hatte er das Gefühl, ein Schriftsteller zu sein. Er nahm den Stift, drückte auf den Knopf an dessen Ende und sah, wie die Spitze der Mine dem Stachel einer Wespe gleich hervorschoss.

Er war bereit.

Doch als er den Kugelschreiber auf das Papier setzen wollte, war da — Nichts! Nada, Niente! Der Autor starrte auf das Blatt vor ihm, bis die leeren Zeilen vor seinen Augen zu verschwimmen schienen. Seine Hand zitterte. Die Spitze des Kugelschreibers verharrte wenige Milimeter über dem Papier, ohne dass es ihm gelingen wollte, sie auch nur einen dieser wenigen Milimeter vorwärts zu bewegen.

Einige Augenblicke bedachte der Autor die Seite mit bösen Blicken, die weiße, linierte Fläche, die es sich im Umschlag aus gewachstem Kunstleder bequem gemacht hatte wie in einem warmen Bett. Er hasste sie. Doch was nutzte das, sie würde heute so unbefleckt bleiben, wie sie es gewesen war, als sie vom Buchbinder in den Umschlag gebettet wurde. Schließlich ließ er resigniert den Stift fallen und stand auf, um in den Keller zu gehen, wo er seine Trauer in einer oder mehreren Flaschen Pinot Grigio zu ertränken hoffte.“


Nicht nur unser (hypothetischer) Autor, sondern fast jeder hat sie schon einmal erlebt, die Angst vor dem weißen Blatt. Doch was eigentlich ist sie (schließlich ist ein Blatt Papier nicht besonders angsteinflößend) und wie lässt sie sich überwinden? Der Post bietet einige Anregungen zu diesem Thema.

Tatsächlich ist die Angst vorm weißen Blatt meist darin begründet, dass man es zu gut mit sich meint. Man glaubt, direkt beim ersten Mal etwas Perfektes zu Papier bringen zu müssen. Zum Teil ist das der aus der Romantik stammenden Vorstellung geschuldet, dass man einen genialen Funken in sich tragen müsste, um etwas zu Papier bringen zu können. Wenn dieser Funken Genialität ausbleibt — nun ja, man kann sich denken, was dabei herauskommt. Schaut man sich aber die Biographien solcher Menschen an, die man gemeinhin als „Genies“ bezeichnet, z. B. Goethe, Schiller oder Kafka, dann fällt auf, dass sie entgegen dem Klischee nicht einsam und allein in ihrem Stübchen große Werke verfasst haben, sondern immer Teil einer Gruppe von Leuten mit gemeinsamen Interessen waren, wenn auch der herausragende. Damit ist auch schon der erste Faktor genannt, der helfen kann, eine Schreibblockade zu überwinden: Man mus sich mit anderen zusammentun. Durch den Austausch und die Rückmeldungen der Anderen lernt man, sein Geschriebenes von Seiten zu sehen, die man selbst nie gesehen hätte.

Den „Autoren“ in sich töten


Auch die eigenen Vorstellungen davon, wie ein Autor zu sein hat, können ein Hemmnis auf dem Weg sein, die sie Story vom Kopf auf das Papier nehmen muss. Man denkt, man selbst, dass Geschreibsel, die Art und Weise, wie man es vorträgt wäre nicht guut genug, man würde sich sicherlich blamieren usw. was mit ziemlicher Sicherheit dazu führt, dass man die Geschihcte gleich sein lässt. Besonders feines Equipment kann manchmal abschreckend wirken, weil man es nicht wagt, in das sündhaft teure Notizbuch etwas zu schreiben, dass unter der „Perfekt“-Marke liegt. Manchmal ist es deswegen besser, den ersten Entwurf einfach auf ein paar Blätter Schmierpapier zu schreiben oder ein billiges Notizbuch zu benutzen. Wenn das Geschriebene dann zu schlecht ist, fällt es leichter, ein solches Stück wegzuwerfen, als ein teures Schriftsteller-Statussymbol im Ledereinband. Man muss sich von seinen Vorstellungen, wie ein „Autor“ zu sein hat, trennen, sie hinter sich lassen, um schreiben zu können. Das ist mit den Autor töten gemeint.

Einer der besten Wege, die Angst vorm weißen Blatt zu überwinden ist tatsächlich, sich hinzusetzen und einfach irgendetwas zu schreiben. Das muss nichts Sinnvolles sein, einzelne Wörter, Unsinn, die Eindrücke, die man in einem Straßencafé sammelt oder, wenn gar nichts hilft, die Tatsache, dass man gerade nicht in der Lage ist, zu schreiben. Letztendlich besteht der ganze Trick darin, sich zu überwinden, einfach auch mal Schund zu schreiben. versucht man dagegen auf den richtigen Moment, die Inspiration oder einen Anflug von Genie zu warten, wartet man meistens vergebens.

Für Geld schreiben hilft


Ein guter Weg, sich derartige Flausen aus dem Kopf zu treiben, ist die Mitarbeit in einer Redaktion, gleich welcher Art sie ist. Das kann die Redaktion einer Schüler-, einer Studenten- oder auch einer Lokalzeitung sein. Wenn man viel Glück hat, darf man für eine Zeitschrift schreiben. Wichtig ist, dass die Publikation regelmäßig erscheint.

Die Tatsache, dass man an feste Termine gebunden ist und, zumindest, wenn es sich um eine professionelle Redaktion handelt, kein Geld kriegt, wenn man nicht liefert, ist sehr motivierend, das übermäßige Polieren am Text sein zu lassen. Nehmen wir das Beispiel einer Lokalredaktion. Der Autor hat den Auftrag erhalten, die Sitzung des örtlichen Kaninchenzüchtervereins zu besuchen. Die Sitzung beginnt um 14:00 Uhr und dauert bis 16:00 Uhr. Vereinbart sind 1000 Zeichen. Um 16:00 kommt man aus der Veranstaltung, fährt nach Hause und setzt sich vor den Rechner. Jetzt hat man noch etwa anderthalb Stunden, um den Text in der Redaktion abliefern zu können, denn um 18:00 ist Redaktionsschluss. Was danach herinkommt schafft es nicht mehr in die Zeitung und das bedeutet, kein Geld!

Bei 1,5 Stunden bleibt keine Zeit, lange an dem Text zu feilen oder sich Gedanken um Inspiration, Genie oder sonst etwas zu machen. Entweder man schreibt, oder das Portemonais und der Kühlschrank bleiben leer. Journalistisch zu schreiben zwingt den Schreibenden dazu, alle Zweifel über Bord zu werfen und kurz, knapp und vor allem über beliebige Themen präzise zu schreiben. Man hat keine Zeit, Angst vor dem leeren Blatt zu entwickeln. Mit zunehmender Übung wird man dann feststellen, dass einem der Einstieg in den Schreibprozess immer leichter fällt.

Andere Wege


Hat man nicht das Glück, für eine Redaktion arbeiten zu dürfen, muss man sich auf andere Strategien verlegen. Oft hilft, das Schreiben in einem festen Rahmen unterzubringen. Man könnte zum Beispiel feste Zeiten für sich definieren, zu denen geschrieben wird, vielleicht jeden Mittwoch von 21:00 bis 23:00 Uhr, oder sonntags zwei Stunden am Nachmittag. Man nimmt sich vor, in dieser Zeit nichts anderes zu tun, als zu schreiben, ganz gleich, was dabei herauskommt. Man sollte sich keine Ziele vornehmen, die nicht zu bewältigen, es reicht völlig aus, wenn man überhaupt geschrieben hat. Ebenso wichtig ist, sich für das Gesamtprojekt ein festes Ziel zu setzen. Hat man sein Schreibpensum erfüllt, sollte man sich belohnen, damit das Ereignis als positiv in Erinnerung bleibt.

Hilft das alles nicht, ist es manchmal besser, das Schreiben für diesen Tag sein zu lassen und eine Nacht über die Sache zu schlafen, und sich am nächsten Morgen wieder an den Text zu setzen. Eine andere Möglichkeit, eine Blockade zu durchbrechen, besteht darin, den Text von einem vertrauenswürdingen Freund gegenlesen zu lassen. So ist es möglich, anhand der Hinweise des Gegenlesers mögliche Stolperstellen zu entdecken und den Text zu verbessern.

Letztendlich muss es darum gehen, ganz gleich, welchen Weg man einschlägt, konsequent am Text zu arbeiten, ganz gleich, für wie schlecht man das eigene Geschriebene hält. Wie im Sport wird man nur dann gut, wenn man ständig trainiert. Dabei ist völlig gleichgültig, ob man eine schlechte Trainigseinheit absolviert hat oder eine Gute. Der Trainingseffekt stellt sich trotzdem ein.

Schreibblockade - (c) G. Sandhoff

4 Kommentare:

Isa hat gesagt…

super Text, gefällt mir :-)

Julia hat gesagt…

Ach ja, das ewige Problem mit der genialen Inspriration. Das ist eine fixe Idee, die leider in ganz vielen Köpfen steckt. Einerseits behindert sie die Entstehung eines Texts, wenn der Autor das Gefühl hat, dass sie fehlt. Andererseits verhindert sie, dass Autoren ihr Erstlingswerk rational einschätzen können. Ich habe es schon mehrfach erlebt, dass junge Autoren das Schreiben ganz aufgegeben haben, nachdem ihr Erstling mehrfach abgelehnt und kritisiert wurde. Dabei ist Schreiben wie fast alles eine Übungssache. Klar steckt in jedem Stück Herzblut, aber niemand kommt als Konzertpianist zur Welt, warum sollte das bei Schriftstellern anders sein? Da hilft nur stetiges Üben, gegen die Angst vor dem leeren Blatt genauso wie gegen den eigenen Genialitätsanspruch.

LG, Julia

Jörg Siefke-Bremkens hat gesagt…

Hallo Julia,

danke für dein Statement. Du hast völlig recht.
Du als Lektorin wirst das bestimmt kennen: Es ist ja leider so, dass einige Autoren denken, sie würden rennen, obwohl sie noch keinen einzigen Schritt gemacht haben. Letztens hatte ich so einen Fall, da wollte der Autor mir erzählen, unser Layouter hätte Mist gebaut, weil bei den i's hinter den f's immer die i-Punkte fehlen würden (er meinte die Ligaturen :-) ). Es hat mich dann einen halben Tag gekostet, ihm klar zu machen, dass wir keine minderbemittelten Vollpfosten sind und streng nach Duden korrigieren. (Du hättest mal die Rumpelstilzchennummer sehen müssen, die unser Layouter gemacht hat, als er davon hörte... Ich glaube, das hat ihn gekränkt.).

LG, Georg.

Jana hat gesagt…

Wie Du schon sagst, das Schreiben für eine Redaktion hat einen positiven Effekt und kann sogar aus einer Schreibblockade rausreißen. Wenn man muss, dann kann man auch schreiben. Ich bin der Meinung, Schreibblockaden sind meistens eher Ideenblockaden. Die Angst vorm weißen Papier habe ich aber auch ab und an, nämlich dann, wenn ich mir etwas "ganz Großes" vorgenommen habe und dann Angst vor der eigenen Courage bekomme.